RA Marco SchneiderArtikelArtikelMedizinrechtDer grobe Behandlungsfehler

8. Mai 2022

Ein Arztbesuch oder eine medizinische Behandlung sollte Patienten helfen und ihre Gesundheit verbessern. Doch was, wenn das Gegenteil eintritt? Wenn ein Fehler passiert, der schwerwiegende Folgen hat? In solchen Fällen sprechen Juristen von einem „groben Behandlungsfehler“. Dieser Artikel beleuchtet, was genau darunter zu verstehen ist, welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben und wie Betroffene ihre Rechte wahrnehmen können.

Das Wichtigste im Überblick:

  • Grobe Behandlungsfehler sind schwerwiegende Verstöße gegen medizinische Standards, die zu erheblichen gesundheitlichen Schäden führen können.
  • Bei einem groben Behandlungsfehler gilt eine Beweislasterleichterung zugunsten des Patienten, was die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erleichtert.
  • Die Kanzlei Scharffetter & Blanke bietet spezialisierte rechtliche Unterstützung bei Verdacht auf grobe Behandlungsfehler, von der Erstberatung bis zum Prozess.

Was ist ein grober Behandlungsfehler?

Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn ein Arzt oder medizinisches Fachpersonal in eklatanter Weise gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen hat. Es handelt sich um einen Fehler, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Beispiele für grobe Behandlungsfehler

Grobe Behandlungsfehler können in verschiedenen medizinischen Bereichen auftreten. Ein klassisches Beispiel ist die Verwechslung von Patienten oder Körperteilen bei Operationen, etwa die Amputation des falschen Beins oder die Operation an der falschen Körperseite. Auch das Zurücklassen von Fremdkörpern im Operationsgebiet, wie Tupfer, Pinzetten oder andere OP-Instrumente, gilt in der Regel als grober Fehler. Schwerwiegende Medikationsfehler, wie die Verabreichung eines falschen Medikaments oder massive Überdosierungen, fallen ebenfalls in diese Kategorie.

Im Bereich der Geburtshilfe können gravierende Fehler auftreten, beispielsweise das Übersehen einer eindeutigen Notsituation des Kindes, die einen sofortigen Kaiserschnitt erfordert hätte. Das Unterlassen notwendiger Befunderhebungen trotz klarer Symptome kann als grober Fehler gewertet werden, ebenso wie die Fehlinterpretation eindeutiger Befunde, etwa das Übersehen offensichtlicher Anzeichen für schwerwiegende Erkrankungen auf Röntgenbildern oder in Laborbefunden. Nicht zuletzt gelten auch grobe Hygieneverstöße, wie die Verwendung unsteriler Instrumente bei Operationen, als schwerwiegende Behandlungsfehler.

Rechtliche Bedeutung des groben Behandlungsfehlers

Die Klassifizierung eines medizinischen Fehlers als „grob“ zieht bedeutende rechtliche Folgen nach sich. Ein wesentlicher Aspekt ist die Beweislastumkehr gemäß § 630h Abs.5 BGB zugunsten des Patienten. Steht fest, dass ein medizinisches Fehlverhalten vorliegt, muss nicht der Patient nachweisen, dass der Fehler zu seinem Schaden geführt hat, sondern der Arzt oder das Krankenhaus muss beweisen, dass der Schaden auch ohne den Fehler eingetreten wäre. Dies stellt eine erhebliche Erleichterung für den Patienten im Rechtsstreit dar.

Zudem führen grobe Behandlungsfehler in der Regel zu höheren finanziellen Entschädigungen für die Betroffenen. Bei der Bemessung von Schadenersatz- und Schmerzensgeldzahlungen wird die Schwere des Verstoßes berücksichtigt, was oft in substanzielleren Summen resultiert.

In besonders schwerwiegenden Fällen können grobe Behandlungsfehler sogar strafrechtliche Konsequenzen für die verantwortlichen Ärzte nach sich ziehen. Mögliche Anklagepunkte reichen von fahrlässiger Körperverletzung bis hin zu fahrlässiger Tötung, abhängig von den Folgen des Fehlers. Diese potenziellen strafrechtlichen Folgen unterstreichen die Schwere und Bedeutung der als „grob“ eingestuften Behandlungsfehler im medizinisch-rechtlichen Kontext.

Unsere Strategie: Ganzheitlicher Ansatz für optimale Ergebnisse

Wir verfolgen einen umfassenden, mehrstufigen Ansatz, um Ihre Interessen bestmöglich zu vertreten:

  1. Sorgfältige Analyse und Beweissicherung: Wir beginnen mit einer akribischen Prüfung aller relevanten medizinischen Unterlagen, einschließlich Krankenakten, Behandlungsprotokollen und Laborbefunden. Bei Bedarf konsultieren wir renommierte medizinische Sachverständige, um fundierte Gutachten einzuholen. Diese gründliche Vorbereitung bildet das Fundament für alle weiteren Schritte.
  2. Strategieentwicklung: Basierend auf unserer Analyse entwickeln wir eine maßgeschneiderte rechtliche Strategie. Wir berücksichtigen dabei alle relevanten Aspekte Ihres Falls, von der Art des Behandlungsfehlers bis hin zu den langfristigen Auswirkungen auf Ihre Lebensqualität.
  3. Außergerichtliche Verhandlungen: In den meisten Fällen streben wir zunächst eine außergerichtliche Einigung an. Wir treten in Verhandlungen mit der Gegenseite – sei es das Krankenhaus, die Ärzte oder deren Versicherungen. Unser Ziel ist es, eine faire und angemessene Entschädigung für Sie zu erreichen, ohne den oft langwierigen und belastenden Weg durch die Instanzen gehen zu müssen.
  4. Mediation und alternative Streitbeilegung: Sollten die direkten Verhandlungen nicht zum gewünschten Ergebnis führen, können wir auch Methoden der alternativen Streitbeilegung wie Mediation in Betracht ziehen. Dies kann in manchen Fällen zu einer schnelleren und für alle Seiten zufriedenstellenden Lösung führen.
  5. Gerichtliche Vertretung: Wenn eine außergerichtliche Einigung nicht möglich ist, scheuen wir uns nicht, Ihre Interessen mit Nachdruck vor Gericht zu vertreten. Unsere erfahrenen Anwälte sind mit den Besonderheiten von Arzthaftungsprozessen bestens vertraut und setzen ihr gesamtes Fachwissen ein, um ein optimales Ergebnis für Sie zu erzielen.
  6. Nachbetreuung und Durchsetzung: Auch nach einem erfolgreichen Verfahren bleiben wir an Ihrer Seite. Wir unterstützen Sie bei der Durchsetzung des Urteils und stehen Ihnen bei eventuellen Folgefragen zur Verfügung.

Durch diesen ganzheitlichen Ansatz stellen wir sicher, dass wir jede Möglichkeit ausschöpfen, um Ihre Rechte zu wahren und die bestmögliche Entschädigung für Sie zu erreichen.

Vorgehen bei Verdacht auf einen groben Behandlungsfehler

Bei einem Verdacht auf einen groben Behandlungsfehler ist es wichtig, systematisch und bedacht vorzugehen. Beginnen Sie damit, den Behandlungsverlauf so detailliert wie möglich zu dokumentieren. Notieren Sie sorgfältig Daten, Namen der behandelnden Ärzte und des Pflegepersonals sowie alle Gespräche und relevanten Vorkommnisse. Diese genaue Aufzeichnung kann später von unschätzbarem Wert sein.

Als Nächstes empfiehlt es sich, eine Zweitmeinung einzuholen. Lassen Sie sich von einem anderen Arzt untersuchen, um Ihren Gesundheitszustand unabhängig beurteilen zu lassen. Parallel dazu sollten Sie Ihre vollständige Krankenakte anfordern. Sie haben das Recht, diese einzusehen und Kopien zu erhalten, was einen wichtigen Schritt zur Beweissicherung darstellt.

Informieren Sie auch Ihre Krankenkasse über Ihren Verdacht. Viele Kassen bieten Unterstützung bei der Aufklärung von Behandlungsfehlern an und können wertvolle Hilfe leisten.

Schließlich, und dies ist besonders wichtig, suchen Sie sich einen spezialisierten Anwalt für Medizinrecht, der Ihnen Klarheit über Ihre rechtlichen Möglichkeiten verschaffen kann. Eine fachkundige juristische Beratung ist oft der Schlüssel zur erfolgreichen Durchsetzung Ihrer Ansprüche bei einem vermuteten groben Behandlungsfehler. Gerne stehen wir Ihnen hierfür zur Verfügung.

Fallbeispiele aus der Praxis

Um die Komplexität und Tragweite grober Behandlungsfehler zu verdeutlichen, hier zwei anonymisierte Fallbeispiele:

Fall 1: Verzögerte Diagnose eines Herzinfarkts

Ein 45-jähriger Patient stellte sich mit starken Brustschmerzen in der Notaufnahme vor. Trotz typischer Symptome wurde kein EKG durchgeführt und der Patient mit der Diagnose „Muskelzerrung“ nach Hause geschickt. Wenige Stunden später erlitt er einen schweren Herzinfarkt mit bleibenden Schäden. Das Gericht wertete das Unterlassen des EKGs als groben Behandlungsfehler.

Fall 2: Fehlerhafte Medikation bei einer Operation

Bei einer Routineoperation verwechselte der Anästhesist zwei Medikamente und verabreichte eine zehnfache Überdosis eines Narkosemittels. Die Patientin erlitt dadurch eine schwere Hirnschädigung. Auch hier lag ein grober Behandlungsfehler vor, der zu einer erheblichen Schadensersatzzahlung führte.

Prävention und Patientenrechte

Patienten spielen eine aktive Rolle in ihrer eigenen Gesundheitsversorgung und können durch bewusstes Handeln dazu beitragen, das Risiko von Behandlungsfehlern zu reduzieren. Es ist ratsam, sich gründlich über geplante Eingriffe und Behandlungen zu informieren. Fundiertes Wissen ermöglicht es Ihnen, aktiv am Behandlungsprozess teilzunehmen und potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen.

Zögern Sie nicht, Fragen zu stellen, wenn Sie etwas nicht verstehen. Ärzte und medizinisches Personal sollten in der Lage sein, Ihre Fragen verständlich zu beantworten. Bei wichtigen Arztgesprächen kann es hilfreich sein, eine Vertrauensperson mitzubringen. Diese kann nicht nur emotionale Unterstützung bieten, sondern auch wichtige Informationen aufnehmen, die Ihnen vielleicht entgehen.

Führen Sie stets eine aktuelle Liste aller Medikamente, die Sie einnehmen. Dies hilft, mögliche Wechselwirkungen zu vermeiden und stellt sicher, dass Ihr behandelnder Arzt alle relevanten Informationen hat. Scheuen Sie sich nicht, besonders bei schwerwiegenden Diagnosen oder Eingriffen, eine Zweitmeinung einzuholen. Ein zusätzlicher fachlicher Blickwinkel kann wertvolle Einsichten liefern und Ihre Entscheidungsfindung unterstützen.

Diese proaktiven Schritte können dazu beitragen, Ihre Sicherheit als Patient zu erhöhen und das Risiko von Behandlungsfehlern zu minimieren.

Elisa Chiappetta

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Medizinrecht

Marco Schneider

Rechtsanwalt
Tätigkeitsschwerpunkte: Medizinrecht, Arzthaftungsrecht

Häufig gestellte Fragen

Was genau ist der Unterschied zwischen einem einfachen und einem groben Behandlungsfehler?

Ein einfacher Behandlungsfehler ist ein Verstoß gegen anerkannte medizinische Standards, der einem Arzt unterlaufen kann. Ein grober Behandlungsfehler hingegen ist ein besonders schwerwiegender Verstoß, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint und einem Arzt schlechterdings nicht passieren darf. Der Hauptunterschied liegt in der Schwere des Verstoßes und den rechtlichen Konsequenzen, insbesondere hinsichtlich der Beweislast.

Wie lange habe ich Zeit, Ansprüche wegen eines groben Behandlungsfehlers geltend zu machen?

Die reguläre Verjährungsfrist beträgt drei Jahre. Sie beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Patient von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat. In bestimmten Fällen, etwa bei Spätfolgen, kann die Verjährungsfrist auch später beginnen. Es ist ratsam, möglichst früh rechtlichen Rat einzuholen, um keine Fristen zu versäumen.

Welche Beweise brauche ich, um einen groben Behandlungsfehler nachzuweisen?

Wichtige Beweise sind Ihre vollständige Krankenakte, Arztbriefe, Befunde, Röntgenbilder und andere medizinische Unterlagen. Auch eigene Aufzeichnungen über den Behandlungsverlauf, Fotos von Verletzungen oder Aussagen von Zeugen können hilfreich sein. Ein medizinisches Gutachten ist in der Regel unerlässlich, um den Fehler fachlich zu belegen. Ihr Anwalt wird Sie bei der Beweissicherung unterstützen. Gerne stehen wir Ihnen mit Rat und Tat zur Seite.

Was kann ich als Entschädigung bei einem groben Behandlungsfehler erwarten?

Die Höhe der Entschädigung hängt von vielen Faktoren ab, insbesondere von der Schwere des Fehlers und den daraus resultierenden Folgen. Sie kann von einigen Tausend Euro bis hin zu Millionenbeträgen bei schwersten Schädigungen reichen. Mögliche Ansprüche umfassen Schmerzensgeld, Ersatz von Verdienstausfall, Kosten für medizinische Behandlungen und Pflege, sowie Entschädigung für bleibende Beeinträchtigungen. Ein erfahrener Anwalt für Medizinrecht kann Ihnen helfen, die angemessene Höhe der Entschädigung zu ermitteln und durchzusetzen.

Muss ich einen Prozess führen, wenn ich Ansprüche wegen eines groben Behandlungsfehlers geltend mache?

Nicht zwangsläufig. Viele Fälle werden außergerichtlich durch Verhandlungen mit den Haftpflichtversicherungen der Ärzte oder Krankenhäuser gelöst. Erst wenn keine Einigung erzielt werden kann, wird der Weg zum Gericht beschritten. Unsere Kanzlei setzt zunächst immer auf Verhandlungen, bereitet aber gleichzeitig sorgfältig eine mögliche Klage vor, um Ihre Position zu stärken.

Wie lange dauert es, bis ich eine Entschädigung erhalte?

Die Dauer variiert stark von Fall zu Fall. Einfachere Fälle können innerhalb weniger Monate gelöst werden, komplexe Fälle, insbesondere wenn sie vor Gericht gehen, können mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Wir bemühen uns stets um eine zügige Bearbeitung, ohne dabei die Gründlichkeit zu vernachlässigen. In manchen Fällen können wir auch Vorschusszahlungen oder Abschlagszahlungen erreichen, um finanzielle Engpässe zu überbrücken.

Was kostet mich die anwaltliche Vertretung bei einem Verfahren wegen eines groben Behandlungsfehlers?

Die Kosten hängen vom Einzelfall ab. Oft arbeiten wir auf Basis einer Erfolgshonorarvereinbarung oder vermitteln eine Prozessfinanzierung, sodass Sie kein finanzielles Risiko tragen. Im Erfolgsfall werden die Anwaltskosten in der Regel von der Gegenseite bzw. deren Versicherung übernommen.

Kann ich auch dann Ansprüche geltend machen, wenn der Behandlungsfehler schon länger zurückliegt?

Grundsätzlich ja, allerdings müssen Sie die Verjährungsfristen beachten. In manchen Fällen werden Behandlungsfehler erst Jahre später erkannt, etwa bei Spätfolgen. Hier kann die Verjährungsfrist später beginnen. Es ist wichtig, sich so früh wie möglich beraten zu lassen, um keine Fristen zu versäumen.

Was passiert, wenn ich den Arzt oder das Krankenhaus verklage, aber den Prozess verliere?

Bei einem Verlust des Prozesses müssen Sie grundsätzlich die Gerichtskosten und die Anwaltskosten beider Seiten tragen. Allerdings bieten viele Kanzleien, einschließlich unserer, Möglichkeiten zur Absicherung dieses Risikos an, etwa durch Rechtsschutzversicherungen oder Prozessfinanzierungen. Wir beraten Sie ausführlich über die Erfolgsaussichten und Risiken, bevor wir einen Prozess einleiten.

Kann ein grober Behandlungsfehler auch strafrechtliche Konsequenzen für den Arzt haben?

Ja, in besonders schweren Fällen kann ein grober Behandlungsfehler auch strafrechtliche Folgen haben, etwa wegen fahrlässiger Körperverletzung oder sogar fahrlässiger Tötung. Allerdings liegt der Fokus bei Behandlungsfehlern meist auf dem Zivilrecht und der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen. Ein Strafverfahren wird in der Regel nur bei besonders gravierenden Verstößen eingeleitet.

RA Marco Schneider

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