RA Marco SchneiderAllgemeinArtikelUrteileDas BVerfG entscheidet: Untergeordnete Bezahlung von Gefangenenarbeit verstößt gegen das Resozialisierungsgebot

21. Juni 2023

 

Einleitung:

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einem wegweisenden Urteil festgestellt, dass Gefangene, die im Strafvollzug arbeiten, derzeit unzureichend entlohnt werden. Die bisherige durchschnittliche Vergütung von weniger als zwei Euro pro Stunde wurde als unvereinbar mit dem Resozialisierungsgebot angesehen. Die Verfassungsbeschwerden zweier Häftlinge führten somit zu einem Erfolg vor Gericht. Dieser Artikel beleuchtet die rechtliche Einordnung des Urteils und seine Auswirkungen.

Der Fall: 

In dem Grundsatzurteil des BVerfG (Urteil vom 20.06.2023, Az. 2 BvR 166/16; 2 BvR 1683/17) wurde entschieden, dass die bisherige durchschnittliche Entlohnung von Gefangenenarbeit im Bereich von 1,37 Euro bis 2,30 Euro pro Stunde unangemessen ist. Die Verfassungsbeschwerden zweier Gefangener aus Bayern und Nordrhein-Westfalen, die gegen die geringe Vergütung ihrer Arbeit vorgegangen waren, hatten somit Erfolg.

Rechtliche Einordnung: Das BVerfG begründete seine Entscheidung mit dem besonderen Gewicht des Resozialisierungsgebots bei Freiheitsstrafen. Im Strafvollzug wird die individuelle Lebensführung weitgehend durch den Staat bestimmt, daher sollte den Gefangenen die Fähigkeit und der Wille vermittelt werden, ihr Leben künftig wieder eigenverantwortlich zu führen. Resozialisierungskonzepte der Länder müssen daher strengen Maßstäben gerecht werden.

Das Gericht betonte, dass die Arbeit im Strafvollzug als Resozialisierungsmittel nur dann wirksam sein kann, wenn sie angemessen anerkannt wird. Diese Anerkennung muss nicht nur monetäre Vorteile umfassen, sondern kann beispielsweise auch in Form einer Haftverkürzung erfolgen. Die Art der Anerkennung muss dem Gefangenen jedoch den Wert regelmäßiger Arbeit verdeutlichen. Der Gesetzgeber hat hierbei ein gewisses Ermessen, ob er ein Nettolohnprinzip oder ein Bruttolohnkonzept einführt, bei dem Teile des Lohns beispielsweise für Haftkosten oder Schulden eingesetzt werden.

Das BVerfG betont weiterhin, dass die Höhe der Vergütung vom verfolgten Zweck abhängt. Die Länder müssen festlegen, welchen Zweck die Vergütung verfolgen soll, und die Höhe muss geeignet sein, diesen Zweck zu erreichen. Die bisherige geringe Entlohnung von Gefangenenarbeit wurde als unrealistisch angesehen und verstieß somit gegen das Resozialisierungsgebot.

Auswirkungen und Forderungen: Das BVerfG erklärte die entsprechenden Normen zur Gefangenenentlohnung für verfassungswidrig, sie bleiben jedoch bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, spätestens bis zum 30. Juni 2025, weiterhin anwendbar. Als Reaktion auf das Urteil wird eine deutliche Erhöhung der Gefangenenvergütung erwartet. Die Gefangenengewerkschaft fordert eine Anhebung auf etwa fünf bis sieben Euro pro Stunde. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) stimmt dieser Auffassung zu und schlägt vor, eine Expertenkommission einzurichten, um eine gerechte Lohnhöhe zu bestimmen.

Bereits in Thüringen werden die eigenen gesetzlichen Regelungen zur Gefangenenvergütung aufgrund des Urteils des BVerfG kritisch hinterfragt. Änderungen sind erforderlich, um der Rechtsprechung zu entsprechen.

Fazit:

Das Urteil des BVerfG stellt klar, dass die derzeitige Bezahlung von Gefangenenarbeit im Strafvollzug gegen das Resozialisierungsgebot verstößt. Die Vergütung von weniger als zwei Euro pro Stunde wurde als unangemessen und unrealistisch eingestuft. Die Entscheidung des Gerichts wird voraussichtlich zu einer spürbaren Erhöhung der Gefangenenvergütung führen und damit einen Beitrag zur gerechten Resozialisierung leisten. Es bleibt nun abzuwarten, wie der Gesetzgeber auf das Urteil reagieren und die entsprechenden Regelungen anpassen wird.

RA Marco Schneider