Noch vor kurzem war Blutspenden für homosexuelle Spender nur möglich, wenn diese in den vergangenen vier Monaten vor der Blutspende keinen Geschlechtsverkehr mit einem Mann hatten.
Diese Differenzierung ist jedoch endlich Geschichte.
Die sexuelle Orientierung soll durch eine Änderung des Transfusionsgesetzes kein Ausschluss- oder Rückstellungskriterium mehr sein.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat zunächst einen Änderungsantrag für das Transfusionsgesetz vorgelegt.
Die Bundesärztekammer wurde dann dazu verpflichtet ihre Blutspende-Richtlinien anzupassen.
Eine Änderung die nicht nur vor dem Hintergrund des Diskriminierungsverbots und der Gleichbehandlung aus Artikel 3 GG zu begrüßen ist sondern auch gesamtgesellschaftlich wünschenswert ist.
Die Bundesärztekammer hat im Oktober 2021 im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut die Hämotherapie-Richtlinie aktualisiert. In dieser Richtlinie werden die Zulassungsvorgaben für die Blutspendedienste in Deutschland festgeschrieben. Darin heißt es nun, dass eine Zulassung zur Spende vier Monate nach Beendigung eines sexuellen Risikoverhaltens das Risiko für die Empfänger nicht erhöht.
Rechtliche Einordnung
Eine unzulässige Ungleichbehandlung liegt vor, wenn wesentlich Gleiches ohne sachlichen Grund ungleich behandelt wird. Hierin läge ein Verstoß gegen Artikel 3 I GG.
Die Entscheidung darf aber auch nicht gegen andere Verfassungsgüter verstoßen. So könnte eine mit Aids infizierte Person gerade bei Blutspenden eine Gefahr für das in Artikel 2 II GG geschützte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit der Empfänger darstellen.
Wie wird nun aber juristisch differenziert?
Zunächst bleibt festzuhalten, dass dem Staat bei der Abwägung von Verfassungsgütern im Einzelfall ein weites Ermessen eingeräumt ist. Um eine solche Abwägung nachvollziehbar zu machen, möchte ich den juristischen Entscheidungs- und Überprüfungsprozess bei Ungleichbehandlungen verdeutlichen:
WieVerfassungsmäßige Rechtfertigung
Bei Der Prüfung einer Ungleichbehandlung wird wie folgt vorgegangen:
1. Bilden von Vergleichsgruppen
Zunächst müssen die Gruppen der Betroffenen und der Nichtbetroffenen herausgearbeitet werden. Es wird also abstrakt festgestellt, wer überhaupt ungleich behandelt wird.
In diesem Fall ist es die Gruppe „potentielle Blutspender“, welche in die Gruppe der bisher betroffenen „homosexuellen Blutspender“ und die Gruppe der nicht betroffenen „Heterosexueller Blutspender“ aufgeteilt wird.
Anschließend ist zu fragen, ob zwischen diesen Gruppen Unterschiede von einer solchen Art und einem solchen Gewicht bestehen, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.
Im hiesigen Beispiel wurde bisher die statistisch höhere Infektionsrate des Aids Virus in der Betroffenengruppe als Unterscheidungs/Differenzierugskriterium herangezogen. Die Annahme, dass HIV hauptsächlich homosexuelle Männer betrifft ist falsch (hierzu später ausführlich). Hier kommt es lediglich auf die in Deutschland statistisch höhere Rate an Neuinfektionen an (60% der Neinfektionen bei homosexuellen und bisexuellen Männern nach dem Robert-Koch-Institut)
2. Ungleichbehandlung
im Anschluss ist die Ungleichbehandlung herauszuarbeiten. Dies ist in den meisten Fällen einfach zu benennen.
Hier wird ganz ein Homosexueller Mensch von der Möglichkeit Blut zu spenden ausgeschlossen.
3. Verfassungsmäßige Rechtfertigung
Anschließend ist zu fragen, ob zwischen diesen Gruppen Unterschiede von einer solchen Art und einem solchen Gewicht bestehen, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.
Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung wie bei jeder hoheitlichen Maßnahme umfasst die Abwägung der Betroffenen Grundrechte mit den angesetzten Differenzierungskriterien.
Eine solche Abwägung kann wie folgt aussehen:
Legitimes Differenzierungsziel
Der Schutz der körperlichen Unversertheit der Allgemeinheit (Spendeempfänger) gemäß Artikel 2 II GG vor Infektionen mit dem Aids Virus ist ein verfassungsrechtlich legitimes Ziel der Differenzierung.
Geeignetheit von Differenzierungskriterien
Diese ist dann zu bejahen, wenn die Verwendung der Differenzierungskriterien zur Abbildung des Differenzierungszieles geeignet ist.
Mit der Ausgrenzung der statistisch höheren Zahl an Neuinfektionen bei homosexuellen Spendern kann das legitime Differenzierungsziel zumindest gefördert werden.
Dieses Differenzierungskriterium folgte der Einsicht, dass nicht eine homosexuelle Selbstdefinition ein Infek-
tionsrisiko birgt. Dass der HIV Virus hauptsächlich homosexuelle, männliche Personen betrifft ist schlicht falsch: „Dieser Mythos ist historisch gewachsen“, sagt Wolfgang Wilhelm, Obmann der Wiener AIDS-Hilfe. „Die schwule Community war nur die Erste, die auf die Pandemie reagiert hat.“ Weltweit sind mehr Heterosexuelle als Homosexuelle HIV positiv, in Subsahara-Afrika sind 59 Prozent der Betroffenen Frauen. Der Mythos habe dazu geführt, dass Neuinfektionen bei homosexuellen Männern zurückgehen, während sie bei Heterosexuellen steigen. „Dem Virus ist die sexuelle Orientierung egal“.
Der Grund für die Geeignetheit des Differenzierungskriteriums ist vielmehr folgender:
Die Zahl der geschätzten HIV-Neuinfektionen in der Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), blieb 2019 im Vergleich zum Vorjahr konstant bei etwa 1.600, im Jahr 2013 waren es noch etwa 2.200 gewesen. Damit machen homosexuelle und bisexuelle Männer noch immer über 60 Prozent der Neuinfektionen aus. Quelle: RKI
Erforderlichkeit der Differenzierung
In der nächsten Stufe muss berücksichtigt werden, ob nicht eine weniger diskriminierende Differenzierung das Ziel in gleicher Weise fördert.
Hier wird darauf verwiesen, dass alle Blutspenden in Labortests auf Aids geprüft werden. Bei Aids kann der Nachweis jedoch erst 4 Monate nach der Ansteckung erfolgen.
Da eine statistisch höhere Infektionsrate bei Homosexuellen besteht, kann die Erforderlichkeit trotz Labortests somit zunächst bejaht werden.
Angemessenheit
Hier gilt es sich zu fragen, ob das Differenzierungsziel gewichtig genug ist, um die konkrete Differenzierung zu rechtfertigen. Es geht also um das Verhältnis zwischen der Rechtfertigungskraft der Gründe unter Berücksichtigung von Regelungsziel, Differenzierungskriterium und Regelungskontext einerseits und den nachteiligen Folgen der Ungleichbehandlung andererseits.
In der erlassenen Richtlinie heißt es:
„Über den Sexualverkehr können Infektionen, wie z. B. HIV oder Hepatitis, übertragen werden. Direkt nach der Ansteckung mit HIV und / oder Hepatitis kann ein Spender ohne es zu wissen infiziert sein und durch sein Blut den Empfänger der Spende anstecken. Leider können Labortests eine Infektion zum Teil erst bis zu 4 Monate nach der Ansteckung nachweisen.“
Dieses Risiko besteht für jeden Blutspender, unabhängig seiner sexuellen Orientierung. Um diesem Risiko gerecht zu werden, wurde der folgende Fragenkatalog entwickelt:
Hatten Sie in den letzten 4 Monaten Sexualverkehr
• mit insgesamt mehr als zwei Personen?
• als Mann mit einem neuen männlichen Partner oder mit mehr als einem männlichen Partner?
• für den Sie Geld oder andere Leistungen (Unterkunft, Drogen) erhalten oder bezahlt haben?
• mit einer Person mit einer der vorgenannten Verhaltensweisen?
• mit einer Person, die mit HIV- oder Hepatitisviren infiziert ist?
• mit einer Person, die im Ausland geboren ist oder mehr als 6 Monate dort gelebt hat?
Haben Sie in den letzten 4 Monaten eine medikamentöse HIV-Präexpositionsprophylaxe
(PrEP) eingenommen?
Durch diesen Fragenkatalog wird das Risiko einer infizierten Spende begrenzt. Hiernach ist folglich das größte Unsicherheitskriterium das, dass die spendende Person die Unwarheit sagt.
Dass homosexuelle Spender öfter lügen als andere Spender ist als völlig sachfremd zu bewerten. Nun kann lediglich in der Abwägung für eine Differenzierung angeführt werden, dass der geringe Prozentsatz der lügenden Spender aufgeteilt in homosexuelle und heterosexuelle Spender anhand der statistischen Wahrscheinlichkeit wohl geringfügig mehr homosexuelle Spender umfasst. Eine solch geringfügige Förderung des Differenzierungsziels tritt dabei zum Einen hinter der Diskriminierung der Betroffenen und zum Anderen hinter dem Zweck der körperlichen Unversehrtheit der auf die Blutspende angewiesenen zurück.
Fazit
Neben dieser juristisch/theoretischen Abwägung ist das Stigma, welches homosexuellen Spendern bis heute aufgezwungen wird, lebensfremd, diskriminierend und für die Akzeptanz in unserer diversen Gesellschaft nicht zielführend. Dass Menschen, die auf eine Blutspende angewiesen sind, bis jetzt potenzielle Spenden ohne sachlich nachvollziehbaren Grund verwährt wurden, bleibt unverständlich. Die Entwicklung ist dennoch positiv und wird von unserer Kanzlei begrüßt.
Quellen:
RKI: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2016/Ausgaben/45_16.pdf?__blob=publicationFile
DRK Blutspendendienst West: https://www.blutspendedienst-west.de/magazin/blutspende/richtlinien-zur-spenderzulassung-homosexuelle-maenner-koennen-deutlich-leichter